Bienen sind keine Kuscheltiere

Der Roman Winterbienen von Norbert Scheuer
Von Anneliese Wittkowski

Schauplatz Eifel, 1944. Egidius Arimond, aus dem Schuldienst entlassener Lateinlehrer, will nur diesen Krieg überleben. Weil er Epileptiker ist, wurde er aus dem Schuldienst entlassen, muss nicht als Soldat kämpfen, könnte aber, von den Nazis als „unwertes Leben“ eingestuft, abgeholt werden. Wegen der Medikamente, die er braucht, damit er die Anfälle unterdrücken kann, ist er auf Hilfe angewiesen. Da ist sein Bruder, ein erfolgreicher, begeisterter Jagdflieger, der ihm bei seinen Besuchen Medikamente mitbringt. Und wenn diese zu Ende gehen, dann muss er sie beim örtlichen Apotheker, einem regimetreuen Nazi, holen. Weil der Bruder immer seltener kommen kann, steigt die Abhängigkeit vom Apotheker, der jedes Mal mehr Geld verlangt, wohlwissend, dass Egidius die Medikamente unbedingt braucht. Wie es dazu kam, dass er Juden zur Flucht verhilft, wird nicht erklärt. Auf jeden Fall erledigt er seine Aufträge als Flüchtlingshelfer gewissenhaft. Die Gefahr, entdeckt zu werden, ist allgegenwärtig, vor allem aber braucht er das Geld, um damit die Medikamente zu finanzieren. Die Bienenstöcke, die er von seinem Vater übernommen hat, pflegt er sehr sorgfältig und ebenso gewissenhaft. Mit dem Erlös der Kerzen aus den Bienenwaben sowie dem Honig kann er wiederum sein Leben finanzieren. Gleichzeitig dienen die Bienenstöcke auch als Versteck bei seinen Flüchtlingstransporten auf dem Pferdefuhrwerk. So sind die Bienen, die Krankheit und die Flüchtlinge als zentrale Punkte im Leben des Egidius Armond zu sehen, stets sowohl Mittel als auch Zweck im Handlungsgefüge. Beziehungen zu Frauen sind ebenso regelmäßiger Teil des Alltags der Hauptfigur. Sie scheinen eigentlich alle austauschbar, wenngleich sie ihm in seiner Sehnsucht abwechselnd näher stehen. 

Norbert Scheuer erzählt in seinem Roman mehrere Geschichten, die um seine Hauptperson kreisen. Der Krieg kann 1944 nicht mehr gewonnen werden. Das Vorrücken der Alliierten ist unaufhaltsam, begleitet von täglich bedrohlicher werdenden Bombenabwürfen. Umso gnadenloser agiert das Regime. Die Gefahren sind ständiger Begleiter im Dorf. Angst, Tod, Elend – jeder Tag wird zunehmend zu einem sich Hinschleppen in nicht greifbarer Sinnlosigkeit. Scheuer erzählt fast berichtend von den Schicksalen der letzten Kriegstage. Das Leid der Flüchtlinge, die Beziehungen, die Angst der Hauptperson um sich und sein Leben sind eingebettet in die stetige, beinahe monoton wiederkehrende Sorge um die Bienen. Akribisch genau erklärt Egidius den Ablauf des Bienenjahres. Seine Sorge gilt dem Bienenvolk, dessen Überleben das Ziel ist, und nicht das einzelne Tier. Bienen sind keine Kuscheltiere. Ohne die Pflege des Menschen könnten sie allerdings auch nicht bestehen. Besonders wichtig für das Überleben des Bienenstockes sind die Winterbienen, deren einzige Aufgabe darin besteht, bei frostigen Temperaturen für Wärme im Inneren des Bienenstockes  durch extensives Flügelschlagen zu sorgen. Vergleiche mit der menschlichen Gesellschaft können gezogen werden, müssen aber nicht, nicht von mir. 

Der Roman von Norbert Scheuer verführt mit einer sehr sorgfältigen, unaufdringlichen Erzählweise, die keine Unachtsamkeit erlaubt, kein schnelles Lesen, das darauf abzielt, zu erfahren, was passiert. Auch wenn Scheuer die literarische Form des Tagebuches wählt, so bleibt, trotz persönlicher und emotionaler Einblicke in die Gedanken der Hauptfigur und seiner Wahrnehmung der anderen Figuren, eine Distanz des Betrachters. Der Leser wird so zum Zuschauer. 

Winterbienen. Roman von Norbert Scheuer

An die Bienen

Bienen! Immer! Sumseriche!
Wer sich je mit euch vergliche,
der verdient, dass man ihn töte!
Dass zumindest er erröte!
Denn, wie ihr in Tal und Berg schafft
ohne Zutun der Gewerkschaft,
ohne dass man euch bezahle,
ohne Streik und Lohnspirale, täglich,
stündlich drauf bedacht,
dass ihr für uns Honig macht,
ihr seid’s wert, dass man euch ehre!
Wobei vorzuschlagen wäre –
ob nun alt ihr, ob Novizen –
euch von heute ab zu siezen!
Unser Dank, unser Applaus säh in etwa so dann aus:
„Sehr geehrte Honigbienen!
Wir Verbraucher danken Ihnen!“
(Heinz Erhardt)

Norbert Scheuer kommt mit seinen Winterbienen am Samstag, 1. Februar 2020 um 19.30 Uhr zu einer Autorenlesung in die Galerie Altes Feuerwehrgerätehaus.

Eintritt 12,- EUR / Schüler*innen und Studierende erhalten nach Verfügbarkeit ermäßigte Karten für 10,- EUR im Vorverkauf und an der Abendkasse eine Stunde vor Beginn. Vorverkauf Sveas Allerlei, Rosenheimer Straße 11, Tel. 0 80 61 / 8 99 3, info@sveas-allerlei.de

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