„Unsere Pflicht ist es weiterzugeben, wie es gewesen ist“

Über die Intention der Max-Mannheimer-Kulturtage und einer lebendigen Erinnerungskultur für die Zukunft.
Von Michael Stacheder



Ich bin kein großer Fan von Stelen oder monströsen, geometrischen Denkmälern, die eher aufgrund ihrer modernen Architekturkunst für Aufsehen sorgen, als dass sie zum Weiterdenken und zum Weitertragen der Geschichte anregen. Ein stummes Mahnmal, in den meisten Fällen nur durch eines mit dürftigen historischen Daten versehenden Hinweisschild ergänzt, empfinde ich oft als starr und unbeweglich. Ja, oft auch als lähmend. Wir werden stumm ermahnt, dass das Geschehene sich nicht mehr wiederholt. Doch erreicht uns diese Botschaft überhaupt noch? Oft eilen wir nur gehetzt und unachtsam vorbei und wissen nicht einmal, an was uns dieses Kunstwerk erinnern soll. Tagtäglich begegnen uns Skulpturen, Stelen oder Denkmäler die in ihrer beeindruckenden Architektur aus Beton, Glas und Stein verharren. Vielleicht bleiben wir für einen kurzen Moment stehen, nehmen die Kunst wahr, fragen uns, was dieses Bauwerk zu bedeuten hat. Zu oft aber eilen wir vorbei, lassen es hinter uns und mit ihm die Geschichte, die wir oft als belastend empfinden. Den Blick in die Zukunft gerichtet, müssen wir die stillen Mahner lebendig werden lassen. Ein Straßenschild wie auch ein Denkmal ist eine wichtige, jedoch passive Form unserer bestehenden Erinnerungskultur. Mit einem wachen Blick auf die Gegenwart und die Zukunft gerichtet, sind wir alle gefordert, neue Formen der Erinnerungsarbeit zu entwickeln.

Für mich hat Erinnern sehr viel mit Bewegung und Austausch zu tun. Den Prozess eines heutigen „Erinnerns für die Zukunft“ müssen wir lebendig und im Dialog gestalten. Das sind wir den Zeitzeugen und Überlebenden des Holocaust schuldig, die über Jahrzehnte unsere Erinnerungskultur entscheidend geprägt und gestaltet haben. Nun ist es an uns, diesen Stab des Erinnerns weiterzutragen. Es ist unsere Pflicht, es weiterzugeben wie es gewesen ist. 

Ja, wir sind Erben der Erinnerungen einer Kriegs- und Nachkriegsgeneration, die sich bis in die späten 1980er Jahre schwer tat, mit dem Erlebten umzugehen, darüber zu sprechen, sich mitzuteilen. Aber weniger sind wir Nachlassverwalter als lebendige Übermittler der Erinnerung für die nachkommende Generation. Das heißt nicht, dass wir historische Fakten verändern, sie beschönigen oder gar wichtige Details verschweigen, nur um das Geschehene erträglicher zu machen. Nein. Wir haben dafür Sorge zu tragen, dass die Erinnerungen und Zeugnisse, die uns Zeitzeugen wie Ruth Klüger, Max Mannheimer oder Esther Bejarano in den letzten Jahrzehnten hinterlassen haben, bewahrt und ohne sie zu verfälschen weiter erzählt werden. Eine lebendige Erinnerungskultur heißt auch, dass das Gut der Erinnerung von Generation zu Generation weitergegeben wird. Jede Generation muss für sich das Erinnern neu formulieren. 

„Wir, die Zeitzeugen, sind nicht nur Zeugen der Zeit, sondern auch Zeugen auf Zeit. Unsere Pflicht ist es, weiterzugeben, was gewesen ist.“ 
Max Mannheimer
(1920-2016)


Lagerstraße im Winter auf dem ehemaligen KZ-Gelände in Dachau.

Unsere Gegenwart ist mit Blick auf die Zeitzeugen von Abschieden geprägt. Ihre mahnenden und eindringlichen Stimmen verstummen nach und nach und hinterlassen uns eine schmerzliche Lücke. Was machen wir mit den vielen Fragen der Generationen nach uns? Können wir sie überhaupt guten Gewissens beantworten? In den letzten Jahren hat man begonnen, die Stimmen der Zeitzeugen des Holocaust zu archivieren. In unserer digitalisierten Welt kein großes Unterfangen. Doch reicht das? Verlieren wir mit dem Abschied von den Zeitzeugen nicht etwas ganz existenziell Entscheidendes? Was zeichnete die direkte Lebenserzählung der Zeitzeugen so besonders? Es war und ist diese unmittelbar spürbare Emotionalität, die von dem Gegenüber ausging, die uns zutiefst beeindruckte und berührte, aber zugleich verstörte. Diese menschliche Verbundenheit wird in digitaler Form nur bedingt und begrenzt übertragbar sein. Wie diese Lücke füllen, die so schmerzhaft wie gefährlich ist? 

Als wir in Bad Aibling am 26. Januar 2018, also am Vorabend des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus, die ersten Max-Mannheimer-Kulturtage eröffneten, taten wir das in der Überzeugung, dass das Erinnern nicht zur pflichtschuldigen Erfüllung und zu einem Automatismus verkommen darf, sondern vielmehr in einem lebendigen Miteinander Erinnern gestaltet werden muss. 

Wie wichtig ein solches Miteinander Erinnern für unsere Demokratie ist, können wir seit mehreren Jahren tagtäglich erleben. Das politische und gesellschaftliche Klima hat sich in Europa und auf der Welt verändert. Rechtspopulistische, national-radikale Töne haben lautstark in den Parlamenten Einzug gehalten, in unserer gesellschaftlichen Mitte. Von einer hasserfüllten Sprache ist der Weg nicht weit zu Terror und Mord. Die menschenverachtenden Taten von Kassel und Halle haben uns das einmal mehr vor Augen geführt. Schockiert und getroffen, mussten wir wieder erkennen, dass unsere Demokratie, unser friedliches Zusammenleben in der Gesellschaft verwundbar ist. Wir, als Zivilgesellschaft sind gefordert. Antisemitismus, Rassismus, Hass und Hetze haben in unserer offenen Gesellschaft keinen Platz!

Michael Stacheder, Ideengeber der Max-Mannheimer-Kulturtage Bad Aibling, engagiert sich seit mehreren Jahren in der Erinnerungsarbeit. So besucht er seit 2019 Schulen und liest u.a. aus Max Mannheimers Spätes Tagebuch. (Foto: © Paria Partovi)

Es freut mich sehr, dass das Motto der Max-Mannheimer-Kulturtage Bad Aibling, das Miteinander Erinnern, bereits in seinem dritten Jahr weit über die Stadtgrenzen hinaus getragen wird. Ob nun in den Veranstaltungen vor Ort oder in den digitalen Räumen, der Gedanke des aktiven Erinnerns ist allgegenwärtig. Das zeigen auch die vielfältigen Veranstaltungen, die sich immer mehr dem Hier und Jetzt zuwenden. Die Max-Mannheimer-Kulturtage Bad Aibling konnten sich innerhalb kürzester Zeit zu einer festen kulturellen Institution im Landkreis Rosenheim entwickeln. Es erfüllt mich mit Freude und Dankbarkeit, was hier vor allem im ehrenamtlichen Bereich geleistet wird. Dem Organisationsteam gebührt an dieser Stelle mein größter Dank. Herzlicher Dank an die Teams von Stadt Bad Aibling, Stadtbücherei und Volkshochschule, den Bad Aiblinger Vereinen wie Kunstverein, Mut & Courage, Historischer Verein, Kreis Migration sowie der Kath. Stadtkirche und Evang.-Luth. Christuskirche Bad Aibling und den zahlreichen Schüler*innen des Gymnasiums Bad Aibling, die 2020 mit einer öffentlichen Zusatzveranstaltung die Kulturtage beschließen werden. Ein ebenso großes Dankeschön an alle anderen Schulen der Stadt und im Landkreis, die mit zahlreichen internen Veranstaltungen das Erinnern fortsetzen und verantwortungsvoll in ihren Schulfamilien gestalten. Ohne dieses tatkräftige Engagement wären die Max-Mannheimer-Kulturtage nicht möglich. 

Möge der Leuchtturm der Max-Mannheimer-Kulturtage Bad Aibling weiterhin sein Licht auf das Gestern werfen und uns den Weg für das Morgen leuchten. 

Michael Stacheder
Ideengeber der
Max-Mannheimer-Kulturtage Bad Aibling, November 2019

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