Geboren im KZ – Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I


Eva Gruberová und Helmut Zeller im Interview über ihr Buch Geboren im KZ und ihre persönlichen Erinnerungen an Max Mannheimer


Wir freuen uns sehr, dass wir Sie für eine Lesung aus Ihrem Buch Geboren im KZ – Sieben Mütter, sieben Kinder und das Wunder von Kaufering I im Rahmen der Max-Mannheimer-Kulturtagen in Bad Aibling gewinnen konnten. Das Buch, das auf Ihrem gleichnamigen Film basiert, lässt einen nicht unberührt zurück. Wie sind diese beiden Projekte entstanden?

Eva Gruberová Ursprünglich habe ich einen Artikel über die sieben jüdischen Mütter und ihre Babys für die SZ geschrieben. Die Idee zu dem Buch hatten mein Mann und ich aber von Anfang an. Aber wir stellten das Buchprojekt zurück, da meine ehemalige Kollegin – ich war früher Fernsehjournalistin – und spätere Co-Autorin des Dokumentarfilms, Martina Gawaz, auf mich einredete, dass diese außergewöhnliche Geschichte doch verfilmt werden müsste.

Wie umfangreich waren die Recherchen?

Helmut Zeller Für den Film waren das etwa zwei Jahre Recherche, auch mit den Drehs in Deutschland, Kanada, England, der Slowakei und Polen, an allen Orten eben, an denen  die Mütter und ihre Kinder vor 1945 und danach gewesen waren. Für das Buch haben wir dann noch einmal fast zwei Jahre recherchiert. Wir waren in den genannten Ländern, außerdem in Israel, auch noch zweimal in Toronto zum Beispiel und haben auch die Archivrecherche vertieft und weitere Zeitzeugen getroffen.

Was ist aus den Babys geworden? Mit Sicherheit war es nicht leicht, mit diesen erlittenen Traumata zu leben. Haben Sie noch Kontakt zu den Einzelnen?

Eva Gruberová Die beiden während der Entstehung des Filmes und des Buches noch lebenden Mütter, Miriam Rosenthal (Kanada) und Eva Fleischmannová (Slowakei), sind inzwischen leider verstorben. Alle sieben Kinder leben, und wir sind mit einer Ausnahme noch heute in Kontakt mit ihnen, mit den meisten sogar befreundet. Leslie Rosenthal lebt in Kanada, George Legmann in Brasilien, Marika Nováková in der Slowakei, Judith und Agnes in Ungarn und Hana Klein in Israel. Ein „Kind“, Jossi, lebt in den USA. Wir haben ihn am Anfang auch kontaktiert, er wollte aber kein Gespräch über die Vergangenheit führen, was wir natürlich akzeptiert haben. Alle haben Familien, heute sind sie im Ruhestand, in ihren Berufen erfolgreich, aber sie sind unterschiedlich stark durch ihre Traumata aus frühkindlicher Zeit belastet. Am 29. April 2010 trafen sich in der KZ-Gedenkstätte Dachau fünf der sieben Kinder zusammen, sie wurden zur Eröffnung der Ausstellung „Sie gaben uns wieder Hoffnung. Schwangerschaften und Geburten im KZ-Außenlager Kaufering I“, eingeladen, die ich zusammen mit der Historikerin Dr. Sabine Schalm kuratiert hatte. Wir besuchten mit ihnen auch ihren Geburtsort Kaufering. Die Kinder sind Ehrenmitglieder des Comité International de Dachau und waren einige Male schon bei der alljährlichen Gedenkfeier zur Befreiung des Konzentrationslagers am 29. April 1945 dabei. Aber mein Mann und ich besuchten sie auch schon in ihren Heimatländern.

Frau Gruberová, durch ihre Arbeit in der KZ-Gedenkstätte in Dachau haben Sie sehr viele Begegnungen mit jungen Erwachsenen, Schülerinnen und Schüler. Was sind Ihre Erfahrungen mit den Jugendlichen, die zu Ihnen kommen und an einer Führung durch die Denkstätte teilnehmen?

Eva Gruberová Ich arbeite seit 14 Jahren in der KZ-Gedenkstätte Dachau als Referentin sowohl für Erwachsene als auch Schülerinnen und Schüler. Darüber gäbe es sehr viel zu sagen. Aber grundsätzlich: Ich stelle über die Jahre ein steigendes Interesse an der NS-Geschichte und der Schoah fest. Übrigens ist das bei Kindern und Jugendlichen nicht abhängig vom Schultyp, also nicht etwa so, dass Schüler von Grundschulen oder Mittelschulen weniger interessiert wären als Gymnasiasten. Das hängt im Grunde von der Vorbereitung durch die Lehrer ab. Auch kann man nicht pauschal sagen, dass etwa Besucher mit Migrationshintergrund oder Geflüchtete kein Interesse hätten. Das Gegenteil ist häufig der Fall, sie sind oft sehr neugierig. Auf der anderen Seite mehren sich auch negative Vorfälle, bei manchen Jugendlichen merke ich z.B. eine gewisse Neigung zu rechtspopulistischen Verschwörungstheorien. Das ist zum Glück nur eine Minderheit, aber ihre Zahl nimmt zu. Vor allem aber nimmt die Unkenntnis zu.  Viele Jugendliche, dazu gibt es auch statistische Erhebungen, wissen etwa nicht, was Auschwitz war, meinen etwa, es sei ein „Lager für arbeitsunfähige, alte Häftlinge“ gewesen, bringen es nicht in Verbindung mit dem Holocaust. Es bedarf dringend einer gründlicheren Vor- und Nachbereitung von Gedenkstättenbesuchen durch die Schule, auch einer Fortbildung von Lehrkräften auf diesem Feld, gerade auch, was die Vermittlung von Geschichtswissen in einer Einwanderungsgesellschaft angeht und  den wiedererstarkten Antisemitismus. 

Erdhütten im ehemaligen Lager Kaufering IV kurz nach der Befreiung Ende April 1945.

Sie beide kannten Max Mannheimer noch persönlich und absolvierten zusammen zahlreiche Veranstaltungen. Max Mannheimer, er ist im September 2016 verstorben, hätte in diesem Februar seinen 100. Geburtstag gefeiert. Welche Erinnerungen haben Sie an ihn?

Eva Gruberová In den Sommermonaten, wenn Ferien waren, wurde er manchmal depressiv, weil er keine Schulen besuchen konnte. Dann freute er sich über jeden Besuch, es gab Kuchen und Kaffee und am Ende den Gang in den Keller, wo man aus seinen Bildern eines aussuchen durfte. Wir beide unterhielten uns immer auf Tschechisch, Max stammte aus dem mährischen Neutitschein, und so konnte er mir bei öffentlichen Anlässen seine Eindrücke und oft sehr lustige Kommentare mitteilen, ohne dass andere verstanden. Das machte ihm einen besonderen Spaß. Er hatte sehr gute Menschenkenntnisse. Max  war sehr stark, aber auch sehr sensibel und verletzbar, und natürlich litt er wie alle Überlebende zeitlebens unter der Erfahrung von Verfolgung und Ausgrenzung, der Ermordung seiner fast gesamten Familie in der Schoah. Als er das Buch „Geboren im KZ“ noch vor der Veröffentlichung gelesen hatte – er war übrigens unser erster Leser rief – er mich an und weinte am Telefon, weil er, wie er sagte, sich darin wiedergefunden hatte. Das war für uns ein Schreck-Moment, so hatten wir ihn noch nie erlebt. Aber er hat sich dann beruhigt und gratulierte uns zu dem Buch. Wir mussten ihm versprechen, dass er bei allen unseren Lesungen in Bayern dabei ist und das Vorwort spricht. Wenn wir das ein, zwei Mal aus Rücksicht auf sein hohes Alter nicht taten, war er beleidigt. Wir sind uns sicher, dass er auch heute hier mit uns gewesen wäre, wenn er noch leben würde.

Helmut Zeller Max  war, aber das ist ja allgemein bekannt, geistreich, humorvoll, schlagfertig, er besaß die Gabe der Selbstironie –  und er war ein scharfsinniger und kritischer Geist, der austeilen konnte, aber nie verletzen wollte. Als ich den Film „Der Weiße Rabe“ für die SZ besprach, beschrieb ich eine Szene, die ihn mit der Karmel-Schwester Elija zeigt,  als „Ikone der Liebe“. Max rief mich an, lachte herzlich und meinte: Das gefällt mir am besten, weil sich der Bischof darüber sehr ärgern wird.“ Wirklich böse habe ich ihn nur einmal erlebt, als jemand in seiner Gegenwart über, ich glaube pauschal „die Ungarn“, eine abwertende Äußerung fallen ließ. Dagegen erhob er sofort seine Stimme. Und wie er donnerte! Gegen Diskriminierung, Vorurteile und Hetze bezog er sofort Stellung. Er lebte vor, was er unzähligen Schülern als Zeitzeuge vermittelte, Verantwortung für unsere Demokratie zu übernehmen und gegen Antisemitismus und Rassismus aufzustehen.

Eva Gruberová Darin war er authentisch. Außerdem mochte er Kinder und Jugendliche, die Gespräche mit ihnen waren ihm am wichtigsten, und sie merkten das und hörten deshalb auf ihn. Es war ein Erlebnis zu sehen, wie Max innerhalb weniger Minuten mit seinen Zuhörern zu einer Gemeinschaft verschmolz. Er war aber auch ein begnadeter Erzähler.

An welchem Projekt arbeiten Sie gerade?

Helmut Zeller Wir arbeiten momentan an einem neuen Buch über den Antisemitismus in Deutschland. Es geht uns v.a. um die Sicht der Betroffenen, wir analysieren aber auch die  Kontinuitäten seit 1945. Das Buch erscheint im September dieses Jahres im C. H. Beck-Verlag.

Das Interview führten Hiltrud Braun und Gabriele Huber.

Die Lesung aus Geboren im KZ mit Eva Gruberová und Helmut Zeller findet in der Stadtbücherei
Bad Aibling am Dienstag, 29. Januar 2020 um 19.30 Uhr statt.

Karten im Vorverkauf 8 EUR / Schüler*innen und Studierende erhalten nach Verfügbarkeit ermäßigte Karten für 6 EUR im Vorverkauf und an der Abendkasse eine Stunde vor Beginn. Vorverkauf Stadtbücherei Bad Aibling, Marienplatz 1, Tel. 0 80 61 / 4901 – 140,
buecherei@bad-aibling.de





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